Spannungsrisskorrosion Podcast Concretely - Johannes Lohner und Gregor Schacht

Spannungsrisskorrosion Carolabrücke – ein Einzelfall?

mit Experte Gregor Schacht von Marx Krontal Partner

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Spannungsrisskorrosion Podcast Concretely

Bauwerksdiagnostik & Schallemissionsmonitoring bei Spannungsrisskorrosion

Zu Gast: Gregor Schacht (Geschäftsführer, Ingenieurbüro Marx Krontal Partner – MKP)
Themen: Stufenplan der Bauwerksdiagnostik, Vorspannung/Spannbeton, Spannungsrisskorrosion, Schallemissionsmonitoring (AE), Datenbewertung & Maßnahmen, Beispiele (u. a. Carolabrücke Dresden)

Warum Bauwerksdiagnostik?

MKP verfolgt das Ziel, Bauwerke im Bestand zu erhalten, Nutzungsdauern zu verlängern und Ressourcen sowie Budgets zu schonen. Der Schlüssel ist eine systematische Informationsgewinnung: von der Bestandsaufnahme über Diagnostik bis zum Monitoring. Durch das Zusammenführen von Daten (statische Nachrechnung, Laborwerte, zerstörungsfreie Prüfungen, Monitoring) entsteht ein realitätsnahes Bild der Tragfähigkeit – Grundlage für belastbare Entscheidungen anstelle teurer pauschaler Erneuerungen.

Arztvergleich: Der logischere Weg zur richtigen Diagnose

Der Bestandsexperte agiert wie eine Ärztin/ein Arzt:

  1. Anamnese & Sichtprüfung: „Wie geht’s dem Patienten?“ – Aktenlage reicht selten. Es braucht den Blick vor Ort.

  2. Diagnostik: Wenn der Verdacht bleibt, folgen Tests – vom „Blutbild“ (Bohrkerne, Materialproben) bis zum „MRT“ (ZfP).

  3. Überwachung: Zeigt der Patient Auffälligkeiten, wird Monitoring aufgeschaltet, um Veränderungen rechtzeitig zu erkennen.

Dieser Vergleich macht deutlich: Nicht jedes Bauwerk ist krank, aber die kranken müssen identifiziert und priorisiert behandelt werden.

Der Stufenplan der Bauwerksdiagnostik

1) Visuelle Inspektion (Erstkontakt)

  • Vor-Ort-Begehung, Abgleich mit Bestandsunterlagen

  • Erfassung von Abmessungen/Geometrie, offensichtlichen Schäden (Risse, Abplatzungen, Leckagen)

  • Frühzeitige Hypothesen: „Wo kann ein Defizit liegen?“

2) Vertiefte Diagnostik & ZfP

  • Statische Nachrechnung mit realitätsnahen Annahmen

  • Materialkennwerte & Proben: Bohrkerne (Druckfestigkeit), Betondeckung, Einbausituation

  • Korrosionsrelevante Parameter: Karbonatisierungstiefe, Chloridionengehalt, Feuchte

  • Zerstörungsfreie Prüfungen (ZfP):

    • Potentialfeldmessungen (Hinweise auf Bewehrungskorrosion)

    • Radar/GPR & Ultraschall (Bewehrungslage, Homogenität, Hüllrohre, Verpresszustand)

  • Ergebnis: belastbare Daten für die Nachrechnung und klare Indikationen, wo Öffnungen/Proben gezielt sinnvoll sind (z. B. über Stützen/Umlenkbereichen).

3) Monitoring – speziell Schallemissionsmonitoring (AE)

  • Einsatz, wenn Risiko besteht oder erste Befunde vorliegen

  • Ziel: aktive Prozesse erkennen, z. B. Drahtbrüche in Spannlitzen (Spannstahl)

  • Kontinuierliche Überwachung liefert Zeitnähe, Trend und Lokalisierung; dient der Risikoabsicherung und Betriebsführung.

Vorspannung einfach erklärt (warum Spannkabel?)

Beton ist stark in Druck, schwach in Zug. Vorspannung drückt den Beton vor, sodass unter Verkehrslasten möglichst keine Zugrisse auftreten.

  • Das „Gummiband-um-den-Schwamm“-Bild: Das straff gespannte „Band“ (Spannstahl) staucht den „Schwamm“ (Beton).

  • In Brücken ermöglicht das große Spannweiten bei schlanker Bauweise.

  • Kritisch: Der Spannstahl liegt i. d. R. verfüllt im Hüllrohr im Beton – korrosionsgeschützt, aber nicht sichtbar. Öffnungen sind heikel und sollten gezielt erfolgen.

Spannungsrisskorrosion bei Spannstahl – was passiert wirklich?

Spannungsrisskorrosion unterscheidet sich grundlegend vom „klassischen Rost“:

  • Mechanismus: Wasserstoffversprödung in hochfestem Spannstahl unter Zugspannung. Wasserstoff kann (z. B. durch Feuchte, Kondensat, ungeeignete Zustände beim Einbau/Lagerung) ins Metallgefüge eindringen.

  • Folge: Spröder Bruch ohne typische Rostprodukte. Das Versagen ist nicht duktil (kein „Warndehnen“), sondern plötzlich.

  • Hotspots: Umlenk- und Stützbereiche (starke Umlenkung/Spannungszustände), enge Führung, Feuchteeinfluss.

  • Tücke: Öffnet man an „bequemen“ Stellen, verfehlt man oft die kritischen Zonen. Deshalb sind gezielte Öffnungen und/oder Monitoring entscheidend.

  • Nach dem Bruch: Der Litzenverbund kann sich über kurze Längen wieder verankern; lokal gehäufte Brüche sind kritisch, verteilte Brüche deutlich weniger.

Schallemissionsmonitoring (AE) – Prinzip, Aufbau, Kalibrierung

Prinzip: Bricht ein gespannter Draht, wird elastische Energie frei → Impuls (Knall/Schnalz). Dieser erzeugt Elastowellen im Beton, die Oberflächensensoren erfassen.
Aufbau:

  • Sensorik (kabelgebunden) in regelmäßigen Abständen (z. B. alle ~10 m) an den relevanten Stegen/Kästen

  • Datenlogger vor Ort: Vorfilterung über Schwellwerte (Amplitude, Energie, Frequenz, Dauer)

  • Cloud-Auswertung: Ereignisse werden gespeichert, klassifiziert und mit Modellen/Heuristiken vorbewertet

  • Lokalisierung: Aus Laufzeitdifferenzen der Sensoren → Ortsbestimmung des Bruchs

  • Kalibrierung/Verifikation: standardisierter Bleistifttest (definierte Bruchenergie), optional künstlicher Drahtbruch an Proben, Rückprallhammer-Impulse

Wichtig: Acustic Emission (AE) monitoring liefert Ereignisdaten (Wann? Wo? Wie stark?) – die Bewertung erfolgt immer im Kontext von statischer Nachrechnung, Materialdaten und Zustandsbild.

Von Daten zu Maßnahmenempfehlungen

Schon vor Inbetriebnahme des Monitorings wird eine Eskalationsstrategie festgelegt:

  1. Grenzwerte definieren (aus statischer Nachrechnung + Zustand):

    • zulässige Zahl lokaler Brüche je Abschnitt

    • Sensitivität (Melde-/Alarm-Schwellen)

    • Reaktionszeiten und Verantwortlichkeiten

  2. Meldelogik vereinbaren:

    • „Info-Events“ (z. B. Einzelbruch verteilt, keine unmittelbare Gefahr) → Dokumentation/Trend

    • „Warnung“ (mehrere Ereignisse in kurzer Zeit) → zusätzliche Prüfung, Verkehrsmanagement, ggf. Inspektion/Öffnung

    • „Alarm“ (gehäufte lokale Brüche nahe rechnerischer Grenze) → sofortige Maßnahmen (Lastbeschränkung, Sperrung, temporäre Abstützung, gezielte Öffnung, Reparaturplanung)

  3. Regelmäßige Befundberichte:

    • Ereignislisten mit Zeit/Ort/Intensität

    • Cluster-/Trendanalysen (zunehmende Aktivität = aktivierter Prozess)

    • Konkrete Handlungsempfehlungen pro Abschnitt (z. B. „Abschnitt A: unauffällig – weiter beobachten (monatlich)“ / „Abschnitt B: Aktivität ↑ – kurzfristige Prüfung + temporäre Lastreduktion“ / „Abschnitt C: kritische Häufung – sofortige Sicherungsmaßnahme + Sanierungsplanung“).

    Praxisnutzen:

    • Frühwarnsystem statt Überraschungen

    • Planbare Eingriffe (Kosten/Verkehr)

    • Transparente Risiken für Betreiber, Politik, Öffentlichkeit

    • Erhalt statt vorschneller Ersatzneubau (Budget und CO₂-Vorteil)

    Fallbezug: Carola-Brücke Dresden

    Nach dem Einsturz half MKP bei Ursachenklärung (Spannungsrisskorrosion) und Absicherung der verbliebenen Überbauten. AE wurde als palliatives Monitoring genutzt, um aktive Schädigungsprozesse zu erkennen und die Schifffahrt unterhalb der Brücke sicher wieder zu ermöglichen. Lehre: gezielte Überwachung der kritischen Bereiche hätte frühzeitig Brüche anzeigen können – entscheidend ist die Kombination aus Diagnose, Nachrechnung und Monitoring samt Eskalationsplan.

    Für wen lohnt sich das besonders?

    • Kommunen/Landesbetriebe mit begrenzten Budgets

    • Betreiber mit kritischer Infrastruktur (Straßen-/Eisenbahnbrücken, Parkbauten)

    • Objekte mit bekannt gefährdeten Spannstahlsystemen oder unklarer Dokumentation

    Empfehlung: So gehst du vor

    • Akten- & Sichtprüfung durchführen, statische Nachrechnung starten

    • Gezielte Diagnostik: Proben & ZfP, Fokus auf Stütz-/Umlenkbereiche

    • Monitoringkonzept definieren (Ziele, Sensorik, Abstände, Datenfluss, Kalibrierung)

    • Eskalationsstrategie festlegen (Grenzwerte, Meldelogik, Maßnahmenkaskade)

    • Regelmäßige Reviews: Trend, Cluster, Korrelation mit Klima/Verkehr – Maßnahmen ableiten

    • Kommunikation: Befunde laienverständlich aufbereiten; Sicherheit & Planbarkeit vermitteln

    Literature

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